Jugendfeindlichkeit

In der Corona-Krise setzt sich gerade genau das fort, was zuvor schon begonnen hatte. Wenn sich Generation Z ums Klima und ihre Zukunft sorgt, dann wird sie von wütenden Altmännermobs im Netz verspottet. Wenn sie sich in Parteien engagiert, wird sie nicht ernst genommen.
Wenn sie sich, wie etwa in den USA, für härtere Waffengesetze stark macht, um nicht in der Schule erschossen zu werden, wird sie mit abstrusen Argumenten überschüttet. Und wenn sie sich darüber Sorgen macht, dass ihr eine Pandemie gerade ihre Jugend raubt, dann ist das für den Mob nicht mehr als ein lächerliches „First-World-Problem“. Diese Jugendfeindlichkeit ist eklig.

Fest steht: Die Jugend ist gerade einer der größten Verlierer der Krise. Ihre Treffpunkte, etwa Clubs, Diskotheken und Festivals waren die Ersten, die im Frühjahr abgeschafft wurden.
Und sie werden wohl die Letzten sein, die nach der Pandemie wieder öffnen – wann immer das sein wird.

Corona-Schwurbler ernst nehmen – die Jugend nicht.

Der Generation Z läuft unterdessen die Zeit davon. Man ist nur einmal jung. Die sorglosen letzten Jahre vor dem Erwachsenenleben, die frühere Generationen noch erleben durften – all das bleibt ihr verwehrt. Und dass sich die Problematik so schnell ändern wird, daran glaubt ja selbst der größte Optimist nicht mehr.

In Klassenräumen frieren sich Schülerinnen und Schüler von nun an den Hintern ab – weil man es über den Sommer offenbar nicht geschafft hat, vernünftige Alternativkonzepte zu schaffen. Als 16-Jähriger würde ich mir auch verarscht vorkommen.

Aber klar, „First-World-Problems“. Erinnert ihr  Euch? Wochen-, ja, monatelang wurde über Corona-Leugner auf den Straßen dieses Landes berichtet. Von einem „First World Problem“ sprach hier erstaunlicherweise niemand.

Kaum gesprochen wird hingegen über diejenigen, die nicht so laut sind wie der Mob. Diejenigen, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben,
und die – abgesehen von einer lächerlichen Maske – noch ganz andere Probleme haben. Dass junge Menschen sozialen Aktivitäten nachgehen möchten, wird als Schwäche dargestellt. Bricht das Sozialleben weg, dann ist das irgend so ein jugendlicher Quatsch. Dabei ist gerade das für junge Menschen enorm wichtig.
„Dieser Moment des Sich-Fallenlassens, einfach den Stress wegtanzen, den Alltag vergessen: Das fehlt doch sehr.“

Wir können an dieser Stelle nicht leugnen, dass natürlich auch die Partygänger gerade einen Teil dazu beitragen, dass die Corona-Infektionszahlen wieder in die Höhe steigen.
Wir lesen von illegalen Rave-Partys, von unerlaubten Massenveranstaltungen , von Saufabenden ohne Abstand. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass es einfach keine angemessenen Alternativen gibt.

Vielleicht lesen wir auch nur, was wir lesen wollen. Es braucht schließlich immer einen Sündenbock – es wäre nicht das erste Mal in dieser Pandemie. Laut dem Soziologen Corsten bewegen sich die Zahlen bei den Neuinfektionen inzwischen auf das Durchschnittsalter der Bevölkerung von 44,5 Jahren zu. Im Klartext: In den vergangenen Wochen haben sich vor allem Teile der älteren Bevölkerung infiziert, und nicht mehr jüngere Leute wie etwa in den späten Sommermonaten. Die Lage könne laut dem Soziologen „nicht mehr vollständig mit dem Partyfeiern erklärt werden“.

Bei Interviews, die er für seine aktuelle Studie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt hat, habe er zudem häufig Rücksichtnahme, eine soziale Perspektive und das Hineindenken in andere festgestellt, sagt Corsten: „Wir können nicht beobachten, dass Jugendliche antisozial denken.“ Für den ein oder anderen Corona-Schwurbler auf den Straßen und Pöbler im Internet dürfte die Beurteilung vermutlich anders ausfallen.

Denkt nach und bleibt gesund!

Schwurbler , Nazis und Verschwörungen – Willkommen in der Mythenwelt

Corona hat eine Menge schräger Mythen hervorgebracht. Mitunter ist der Schwachsinn, der im Internet kursiert, so hanebüchen, dass der Begriff „Verschwörungstheorie“ zu viel der Ehre wäre.
Verschwörungserzählungen sind frei von Belegen, dafür hantieren ihre Erfinder mit haltlosen Unterstellungen. Sie wiegeln auf und schüren Existenzängste. Es wird
teilweise unbewusst, rechtes und rechtsoffenes Gedankengut verbreitet.
Doch auch für jene, die auf der anderen Seite stehen, ist das alles mittlerweile mehr als gruselig.
Als ob eine Pandemie ansich nicht schon schlimm wäre, muss man sich nun auch noch mit solchen Idioten befassen.

Allem Vorran: die Nazis
Kann und sollte man mit Nazis reden? Kann man Ihnen andere Überzeugungen nahe legen? – Nein!
Gespräche sind zwecklos. Die wollen nämlich nur Aufmerksamkeit und keinen Echten Dialog.

Denn die schöne Vorstellung, die dieser Forderung nach Dialog zugrunde liegt, ist die eines Gesprächs zwischen zwei grundsätzlich für den Austausch von rationalen Argumenten offenen Personen, die sich gerne vom Gegenüber überzeugen lassen, wenn er oder sie die besseren Argumente mitbringt. Nicht erst seit Donald Trump wissen wir, dass der Kommunikationsstil
der Neuen Rechten gerade nicht dialogisch ist. Stattdessen fährt sie eine Strategie der Verlautbarungen, der Reichweite und der Aufmerksamkeit. Und zwar um jeden Preis, auch den der Wahrheit.
Es wird mit den Ängsten der Menschen gespielt. Ihre Existenzangst instrumentalisiert.

Wer profitiert davon, dass es in Deutschland als Tugend gilt, das Gespräch mit ganz Rechts zu suchen? Es sind die ganz Rechten, die es dadurch immer wieder schaffen, den Dialog an sich zu reißen und die eigentlichen Themen – Integration, Rechtsterror, Demokratiefeindlichkeit – zu kapern und umzudeuten.
Und häufig schafft es die Gesellschaft nicht einmal, zu benennen, was sie tut:  So sitzen keine »Neonazis« in Polittalkshows, sondern »Europakritiker«, »Volksschützer«, »Asylgegner«.
Sie haben halt ein Problem mit Flüchtlingen, der LGBTQ-Community, Juden, Muslimen, Schwarzen. Und mit Abtreibung. Denn sie alle lieben Föten.

Zweitens liegt der Forderung das Gespräch zu suchen, und damit toleranter gegenüber Ideen der Neuen Rechten zu sein, ein merkwürdiger Begriff von Toleranz zugrunde.
Wenn es einen Text gibt, den man angesichts der aktuellen Diskussion dringend wieder lesen müsste, ist es Herbert Marcuses Aufsatz über „repressive Toleranz“.
In dem Text aus dem Jahr 1965 argumentiert Marcuse, dass Toleranz gerade nicht darin besteht, in letzter Instanz auch Intoleranz zu akzeptieren. Toleranz wird in dem Moment,
in dem man das tut, repressiv, weil sie dann – statt Freiheit, Offenheit und Emanzipation zu fördern – Intoleranz als Deckmantel dient.

Die Idee, dass eine tolerante Gesellschaft auch Intoleranz aushalten müsse, ist für Marcuse die deutlichste Artikulation von repressiver Toleranz.

Marcuse zeigt, dass wahre Toleranz parteiisch sein müsse – der Intoleranz gegenüber. Das heißt nicht, dass wir uns Rassismus oder Sexismus einfach weg wünschen können.
Aber wir dürfen rassistische und sexistische Positionen nicht auf einer Ebene mit anderen Positionen verhandeln.
Wir tun dann so, als wäre die Gleichheit von Menschen eine Frage der Meinung und nicht Voraussetzung des demokratischen Gesprächs.

Fakt ist, es gibt einen Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Den man mit Vorsicht betrachten sollte.
Mit dem Ergebnis, dass es da nichts zu diskutieren gibt, aber viel, wogegen man kämpfen und einiges, dem man sich verweigern sollte.

 

die Schwurbler

Manchmal komme ich mir vor wie im Leben des Brian (Monty Python’s Life of Brian) , wo jeder selbsternannte Prophet im Kostüm eines Esotherikers oder Heilpraktikers daher kommt
und den Menschen einem vom Pferd erzählt.
Ebenso gibt es die Volksfront von Judäa und die judäische Volksfront –  dies soll Streit und Spaltungen in der Regierung darstellen und die Zerissenheit innerhalb des Ganzen wiederspiegeln.

Klar, das viele Menschen da leichtgläubig sind und falschen Propheten folgen. Ganz vorran Attila Hildmann.

Nachdem der Berliner Kochbuchautor  verkündete, bewaffnet in den Untergrund zu ziehen und dort notfalls eine Armee aufzubauen, spekuliert er nun über Chemtrails, Aliens und groß angelegte Monster-Erweckungsrituale.

Hildmann behauptet, er werde gegenwärtig von Geheimdiensten und Tempelrittern observiert. Und er setzt seine Anhänger über einen bevorstehenden Karrieresprung in Kenntnis:
„Ich bin hier bald der neue Staatschef.“ Er sei geboren, um in dieser Zeit das Schlimmste zu verhindern.

Attila Hildmanns Eigendemontage ist schlimm anzusehen, die Kombination aus Selbstüberschätzung und Realitätsverlust dank seines Geltungsdrangs penibel im Internet dokumentiert.
Da überrascht nicht, wenn Hildmann gleich den nächsten Unsinn auftischt, zum Beispiel den Verdacht, das Berliner Trinkwasser sei vergiftet, um die Bevölkerung ruhig zu stellen.

Umso mehr irritiert es, wenn man mit einem Mal Verschwörungstheorien von Personen hört, denen man das nie zugetraut hätte: von Verwandten, Bekannten, Freunden, Kollegen.
Menschen, die man bisher für vernünftige, aufgeklärte Demokraten hielt.
Und plötzlich schicken sie über Whatsapp angebliche „Beweise“, wonach ein Coronavirus gar nicht existiere. Dass alle Abstandsregeln bloß Panikmache seien und dahinter ein teuflischer Plan geheimer Mächte stecke.

Was darauf antworten? Ist diesen Menschen, auf einer Eskalationsstufe zwischen eins und Attila Hildmann, noch zu helfen? Sollte man Sie als Irre abtun oder lauert da eine echte Gefahr ,
wenn man die Masse dieser Leute betrachtet?

Am Anfang der Pandemie explodierte die Nachfrage nach verlässlichen, von etablierten Institutionen geprüften Nachrichten. Die „Tagesschau“ erreichte 17 Millionen Zuschauer, das entsprach einem Marktanteil von fast 60 Prozent.

Doch je länger der Kampf gegen die Pandemie dauert, je beschwerlicher er scheint und in je weitere Ferne sein Ende rückt, desto attraktiver werden einfache Antworten und klare Schuldige.
Eben zum Beispiel: Das Virus existiert gar nicht, alle Sicherheitsregeln sind überflüssig, geheime Mächte stecken dahinter. Das ist nah am Wunsch, eine Hexe zu verbrennen, weil die Ernte schlecht war, oder einen Juden aus der Stadt zu jagen, weil der eh schon immer an allem schuld war.

Ja sind wir denn im Mittelalter? Habt ihr denn nichts gelernt? Ich kann da nur den Kopf schütteln.

Verschwörungsgläubige verdienen kein Mitleid, sondern entschiedene Ablehnung.

An eine Seite wird in der Debatte, wie mit Verschwörungsgläubigen am besten umzugehen ist, praktisch überhaupt nicht gedacht: diejenigen, die sich den ganzen Quatsch anhören müssen.
Die Coronakrise belastet alle, jeder hat ein Päckchen zu tragen. Woher kommt die Erwartung, dass Vernünftige dann auch noch Toleranz gegenüber den Unvernünftigen zeigen sollen –
und auf eine saudumme Wortmeldung, die in Wahrheit eine Belästigung darstellt, mit Geduld und Feingefühl reagieren?

Es gibt keine moralische Verpflichtung, sich das anzuhören. Es ist erlaubt, Verschwörungsgläubige abzukanzeln, sogar auszulachen, ihnen auch zu entgegnen: „Erzähl das der Parkuhr, Onkel!“ oder einfach „Geh weg!“ Meinungsfreiheit bedeutet, dass man fast alles behaupten darf. Es bedeutet nicht, dass sich jemand den Mist anhören muss.

Ohnehin wäre es Zeitverschwendung, einen Verschwörungstheoretiker von der Unsinnigkeit seiner Behauptungen überzeugen zu wollen. Zunächst einmal ist es schlicht unmöglich,
den Beweis zu erbringen, dass eine Verschwörung nicht existiert. Man kann ja auch nicht beweisen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Er könnte sich, theoretisch, tatsächlich irgendwo auf der Welt verstecken. Solange nicht jeder Quadratmeter Erdoberfläche überwacht wird, können wir es nicht hundertprozentig wissen – und selbst dann könnte der Kerl in einer Höhle im Erdinneren oder in den Wolken oder unter einem Unsichtbarkeitsmantel ausharren.
Wir können lediglich eine überwältigende Fülle an Indizien zusammentragen, die zeigen, wie unwahrscheinlich die Existenz des Weihnachtsmanns ist.

Verschwörungstheoretiker sind verdammt gut darin, über Logikfehler hinwegzusehen. Bei ihnen kann Angela Merkel gleichzeitig Jüdin, Roboter und außerirdisches Echsenwesen sein.
Alles ist möglich, solange man für das, was man fünf Minuten vorher behauptet hat, keine Verantwortung übernimmt.

Das alles klingt so furchtbar abstrakt. Als wären wir alle in der Truman Show und da oben sitzt jemand und lacht über uns.
Aber Leute, das ist Realität. Das ist unser Jetzt!
Die Zukunft ist gerade dunkler als je zuvor.